In dieser Woche freuen wir uns, ein Interview mit Christoph Stiller, einem unserer Praktikanten, zu präsentieren. Christoph hat kürzlich erfolgreich seine Bachelorarbeit zum Thema "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Chance oder Wettbewerbsnachteil" an der Hochschule München (HM)abgeschlossen. In diesem Interview teilt er seine Erfahrungen während der Arbeit an seiner Abschlussarbeit, seine gewonnenen Erkenntnisse und seine Perspektiven für die Zukunft in Bezug auf sein Studienfach und berufliche Ziele.
1. Wie würdest du deine Bachelorarbeit in wenigen Sätzen für jemanden erklären, der mit dem Thema nicht vertraut ist?
In Deutschland wurde 2021 ein Gesetz zum Schutz der Menschenrechte entlang der Lieferketten von Unternehmen beschlossen, das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz LkSG). Das LkSG verpflichtet deutsche Unternehmen (oder solche, die eine entsprechend große Zweigniederlassung in Deutschland haben) ab 1000 Mitarbeitende ab 2024 bzw. solche mit über 3000 MA ab 2023 dazu, ein System zur Überprüfung der eigenen Lieferkette aufzubauen, mit der Menschenrechtsverletzungen durch das eigene Handeln oder das von Lieferanten verhindert oder, falls sie auftreten, beendet werden sollen. Ich habe mich nun damit beschäftigt, wie Unternehmen dieses Gesetz wahrnehmen. Dazu habe ich in der ersten Hälfte das LkSG vorgestellt, dieses mit ähnlichen Gesetzen verglichen und die Chancen und Hindernisse durch das Gesetz aus Sicht der Literatur untersucht, bevor ich im zweiten Teil der Arbeit acht Expertinnen und Experten aus produzierenden Unternehmen in sieben Interviews zu ihrer Einstellung zum Gesetz befragt habe. Das Ziel war, herauszufinden, ob Unternehmen das LkSG eher als Chance oder als Wettbewerbsnachteil wahrnehmen und wie aus ihrer Sicht die kommende Legislation in diese Richtung aussehen soll, etwa im Rahmen der EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, die zum Zeitpunkt der Arbeit verhandelt wurde.
2. Was war die wichtigste Herausforderung während der Arbeit an deiner Bachelorarbeit und wie hast du diese gemeistert?
Die wichtigste Herausforderung für mich war, zum ersten Mal in meiner Studentenlaufbahn qualitative Interviews zu führen und auszuwerten. Das war für mich ein großer Stressfaktor, da ich immer im Hinterkopf hatte: „Wenn die Interviews nicht gut werden, wird die gesamte Arbeit nicht funktionieren.“ Meine Lösung lag dann darin, mich genauestens auf die Interviews vorzubereiten; neben der inhaltlichen Vorbereitung habe ich auch einiges an Zeit für die Technik von Experteninterviews und für die Suche nach den Hintergründen der Expert:innen aufgewendet. Ich denke, das hat auf jeden Fall dazu geführt, dass sich meine Gesprächspartner:innen über das Interview hinweg wohlgefühlt haben und gerne von Ihren Erfahrungen erzählt haben; es hat allerdings auch dazu geführt, dass ich erst nach dem letzten Interview angefangen habe, die Arbeit niederzuschreiben. Während ich absolut empfehlen kann, Interviews gut vorzubereiten, wäre die Arbeit insgesamt an mancher Stelle genauer gewesen, wenn ich den schriftlichen Teil zum Beginn der Interviews schon zumindest grob stehen gehabt hätte, da ich manche Fragen dann anders gestellt hätte.
3. Welche Schlüsselerkenntnisse hast du aus deiner Arbeit gezogen und wie könnten diese in der Praxis angewendet werden?
Für die befragten Expertinnen und Experten ist das LkSG zunächst mal ein Wettbewerbsnachteil, der für die Unternehmen einen großen Aufwand bedeutet und große Probleme bei der Umsetzung verursacht – und das nicht nur für Unternehmen, die laut Gesetz unter die Regelungen fallen, also entsprechend viele Mitarbeitende haben, sondern auch gerade für kleine Unternehmen, die durch ihre großen Kunden dazu gezwungen werden, das LkSG ebenfalls zu erfüllen, obwohl sie weder gesetzlich verpflichtet wären noch die gleichen Kapazitäten besitzen, um entsprechende Systeme aufzubauen. Die EU-Richtlinie wird dabei im Wesentlichen als Chance gesehen, da mit ihrer Hilfe der Wettbewerbsnachteil für die vom LkSG betroffenen Unternehmen zu einem großen Teil verschwinden dürfte, wenn die Gesetzgebung für alle EU-Unternehmen gleich ist. Die Hoffnung liegt außerdem darin, dass sich durch diese Homogenisierung der Sorgfaltspflichten eine einzige Art der Menschenrechts-Sorgfaltspflichten-Erfüllung durchsetzt, die Unternehmen dann bestenfalls global, mindestens aber EU-weit nutzen können, anstatt für jedes Land unterschiedliche Spezifikationen erfüllen zu müssen. Anwenden könnte man die Erkenntnisse aus der Arbeit, indem man sie als Grundlage für zukünftige Forschung nutzt. Wie verändert sich die Einstellung zum LkSG, etwa durch die EU-Richtlinie? Welche Einschätzungen der Expert:innen haben sich bestätigt? Man könnte aber auch daraus ableiten, was für eine zukünftige Regelung aus Sicht der hier befragten Unternehmen verbessert werden könnte; etwa die Vereinheitlichung auf Europaebene anstelle eines Flickenteppichs oder die Ergänzung um spezielle Regelungen für kleinere Unternehmen, um diese nicht zu überlasten.
4. Wie hat die Arbeit an deiner Bachelorarbeit deine Perspektive auf dein Studienfach oder deine beruflichen Ziele beeinflusst?
Im Hinblick auf mein Studienfach hat mir meine Bachelorarbeit gezeigt, dass es trotz des weit verbreiteten Gefühls, dass die Wirtschaft das Thema Nachhaltigkeit völlig ignoriert und immer weiter allein auf Profitmaximierung aus ist, auch ein gewisses Bewusstsein dafür (in diesem Fall für soziale Nachhaltigkeit) entsteht, das über reine Marketingaspekte hinausgeht. Darauf deuten die zahlreichen Erwähnungen in den Interviews, die die entstehenden Nachhaltigkeitsaspekte durch das LkSG als Chance betrachten. Gleichzeitig wird die Thematik aber, so scheint es mir zumindest nach der Arbeit und vor allem nach den Interviews, sowohl in der Wirtschaft als auch im Studienfach Betriebswirtschaft oft auf einen bestimmten Bereich abgewälzt. Sowohl in Unternehmen als auch in meinem Studienfach kann man komplett um das Thema Nachhaltigkeit herumkommen, wenn man möchte – im Sinne von: „Ich überlass‘ das denen, die sich dafür interessieren“. Dadurch wird sich aber nur schwer etwas ändern, wenn das Bewusstsein nicht besteht, dass das Thema bereichsübergreifend ist und nicht eine ESG- oder Compliance-Abteilung im Unternehmen gegen die anderen Abteilungen „ankämpfen“ sollte. Daher ist ein Schwerpunkt Nachhaltiges Wirtschaften zwar eine gute Sache; Nachhaltigkeit sollte jedoch bestenfalls in allen Schwerpunkten fest verankert sein, damit zukünftige Entscheider nicht weiterhin getrennt sind in „nachhaltigkeitsinteressiert“ und „unternehmenserfolgsinteressiert“, sondern stets beides zusammen anstreben. Hinsichtlich meiner beruflichen Ziele habe ich mich bestärkt gefühlt darin, den groben Bereich Nachhaltigkeitsmanagement im Blick zu behalten, also einen Bereich, von dem aus Nachhaltigkeitsanstrengungen eines Unternehmens koordiniert werden und – hoffentlich – Hand in Hand mit den verschiedenen Abteilungen gehen.
5. Welchen Rat würdest du zukünftigen Bachelorstudenten geben, die an ihrer Abschlussarbeit arbeiten?
Ganz klassisch ist der Rat, nicht zu spät mit dem Schreiben anzufangen. Ich habe eine Menge Arbeit in die Bachelorarbeit gesteckt und damit relativ früh angefangen; mein Fehler war (wie bereits erwähnt) nur, zu viel Zeit für die Interviewvorbereitung und Quellensuche aufzuwenden, die auch in das Schreiben der ersten Kapitel hätte fließen können. So hatte ich nach den Interviews zwar schon alle Quellen parat, aber angenehmer wäre es gewesen, dann nur noch die Analyse der Interviews durchführen zu müssen. Was die Betreuung der Arbeit angeht, so wäre mein Vorschlag, sich eine Betreuerin oder einen Betreuer zu suchen, mit dem/der man gut zusammenarbeiten kann. Persönlich würde ich sogar so weit gehen, zu sagen, dass der/die Betreuer(in) wichtiger ist als das Thema selbst. Mein angedachtes Thema war ursprünglich ein anderes, als es letztendlich wurde, was ich zunächst nicht schlimm, aber etwas schade fand. Je mehr ich dann über das neue Thema gelernt habe, desto spannender wurde es, da ich immer mehr zum Experten wurde und plötzlich auch anderen davon erzählen konnte. Ich wäre mal so optimistisch, dass das mit den meisten Themen der Fall wäre, auch wenn es anfangs vielleicht nach „dem falschen“ Thema klingt. Einen Betreuer oder eine Betreuerin, mit der/dem man sich gut versteht, bei dem/der man weiß, dass man sich auf ihn/sie verlassen kann, der/die sich auch für das Thema interessiert und bei dem/der man auch nachfragen kann, wenn man Probleme oder offene Fragen hat, ohne befürchten zu müssen, dafür schief angeschaut zu werden, ist dagegen nicht zu ersetzen. Ich würde sagen: Achtet gerne auf das Thema, dass es euch zumindest grundlegend interessiert, aber denkt zumindest gut darüber nach, ein angebotenes Thema bei eine/r Betreuer(in) zu schreiben, mit der ihr euch nicht versteht, nur weil das Thema toll klingt.
Danke, Christoph für das Interview und alles Gute für dein Masterstudium in Kassel!